Elberadweg von Magdeburg nach Bad Schandau, August 2011
Radtour entlang der Elbe: Grüne Weiden, stille Dörfer
Der Elberadweg wurde in einer jährlichen Umfrage des deutschen Fahrradclubs ADFC schon sechs Mal zur beliebtesten Radroute des Landes gewählt. Die Elberoute ist von der Mündung an der Nordsee bis nach Tschechien über 800 km lang, und das ist etwas zu viel für das lange Wochenende, das uns zur Verfügung stand, um herauszufinden, warum der Elberadweg so beliebt ist. Darum starteten wir in Magdeburg und radelten durch den Osten Deutschlands nach Bad Schandau, 8 km vor der Tschechischen Grenze.
Von Westen nach Osten
Wir fuhren flussaufwärts, das erscheint schwerer als flussabwärts, aber das Gefälle des Flusses beträgt über die 300 km, die wir zurückgelegt haben, nur einige Dutzende Meter, und außerdem hofften wir auf Rückenwind aus dem Westen in diesem Sommer mit den vielen Tiefs. Aber unser Hauptgrund war, dass uns – als Radfahrern aus dem Flachland – der Übergang von eben (=bekannt) nach hügelig (=exotisch) reizvoller erschien. Die zahlreichen anderen Radfahrer auf der Strecke — oft Familien mit Kindern mit eigenen Rad oder im Fahrradanhänger — waren da anderer Meinung, denn sie fuhren fast alle von Ost nach West (gemäß der Beschreibung des überaus beliebten Bikeline-Routenführers).
Von Gommern nach Dessau
Von Gommern bei Magdeburg fahren wir erst durch eine grüne Deichvorlandschaft mit scheinbar unberührten Flusswäldern und ausgedehnten Wiesen, auf denen ab und zu ein Storch steht. Die Route führt abwechselnd über stille Asphaltstraßen und mit Betonstreifen befestigte Wege, manchmal direkt am Fluss entlang und manchmal hunderte Meter davon entfernt. Bei Hochwasser werden die Wege schnell überschwemmt, dann müssen Sie Ihren Weg hinter dem Elbdeich suchen. Unser erster Rastplatz ist das etwas verfallene Schloss Dornburg in der gleichnamigen Ortschaft, in der in der DDR-Zeit ein von Hunden bewachtes Staatsarchiv untergebracht war. Jetzt steht es leer und wartet auf die dringend nötige Sanierung. Es ist nur an einem Tag im Jahr geöffnet, und das ist nicht der Tag, an dem wir vorbeikommen, also steigen wir schnell wieder aufs Rad.
Bauhaus in Dessau
Nachdem wir den Fluss mit der Fähre überquert haben, erreichen wir Dessau. Wer sich auch nur ein wenig für moderne Architektur interessiert, sollte sich das Bauhaus anschauen, ein berühmter und bahnbrechender Entwurf von Walter Gropius. Das Gebäude aus dem Jahre 1925 wirkt immer noch überraschend modern. In der Nähe des Bauhauses liegen auch die weißen Meisterhäuser von Gropius in ihren modern anmutenden Würfelstrukturen. Sie gehören, wie das Bauhaus, zum Unesco Weltkulturerbe. Diese Villen, in denen einst Künstler wie Klee und Kandinsky arbeiteten und die im 2. Weltkrieg teilweise zerstört wurden, wurden inzwischen rekonstruiert und gelten als Prototyp des "Modernen Wohnens".
Stürzende Radfahrer
Hinter Dessau fahren wir weiter Richtung Wörlitz auf einem nicht asphaltierten Waldweg, dessen Ränder durch die dauernden Niederschläge sehr weich und glitschig sind. Aber das merken wir erst, als wir schon auf dem Boden liegen. Glücklicherweise beschränkt sich der Schaden auf eine Schürfwunde und ein verbogenes Hinterrad. Es stellt sich heraus, dass der Eigentümer des Forsthauses Leiner Berg, wo wir eine Cola trinken, eine Unterschriftenaktion gestartet hat, um die Radwege an der Elbe zu verbessern. Er kommt sich oft mehr wie ein Krankenpfleger als ein Gaststätten-Inhaber vor, da so viele gestürzte Radfahrer hier vorbeikommen, die er wieder aufmöbeln muss. Geteiltes Leid ist halbes Leid, denken wir uns, und fahren schnell weiter, um dem sich nähernden Gewitter zu entkommen, aber leider klappt das nicht.
Lutherstadt Wittenberg
Es hat schon wieder aufgeheitert, als wir mit der Fähre gemächlich nach Coswig hinüberfahren. Die Elbfähren haben keinen Motor, sondern fahren ausschließlich mit Wasserkraft zum anderen Ufer. Es handelt sich um sogenannte Gierseilfähren, die an einem langen Drahtseil hängen, das sich kurz vor der Fähre teilt. Indem eines der Seilenden verkürzt wird, kann das Boot schräg gegen den starken Strom gestellt und durch den Wasserdruck zum anderen Ufer getrieben werden. Der Sturz, das Unwetter und die langsamen Fähren haben Zeit gekostet und wir sind spät dran. So kommen wir erst nach acht Uhr auf dem Campingplatz von Lutherstadt Wittenberg an, der wunderschön an der Elbe liegt. Anders als in den Dörfern ist in dem Städtchen, in dem Luther einst seine Thesen an die Schlosskirche nagelte, abends noch viel los. Wir sind im Kartoffelhaus Schwarzer Bär eingekehrt, ein gutes Restaurant, wo es glücklicherweise nicht nur Kartoffeln gibt.
Stille Ortschaften
In Wittenberg kann man gut sehen, wie der Osten Deutschlands nach der Wende dramatisch wieder hergerichtet wurde. Alle Häuser sind schön gestrichen und sorgfältig restauriert. Allerdings haben die Straßen noch immer wie früher Kopfsteinpflaster, sodass das Radfahren eine ausgesprochen holprige Angelegenheit wird. Auch in den Dörfern ist die Straßendecke oft noch "historisch", auch wenn am Straßenrand oft ein kleiner Streifen glattes Pflaster für die Radfahrer angesetzt wurde. Ansonsten fällt in den Dörfern die absolute Stille auf. Nur selten sehen wir jemanden auf der Straße und außer den Radfahrern auf der Elberoute gibt es kaum Verkehr. Wir fragen uns, was die Menschen hier eigentlich machen. Vielleicht sind alle, die noch nicht in den Westen gezogen sind (2 Millionen Menschen seit 1989) am Wochenende in den riesengroßen Schrebergartenanlagen, die wir in der Nähe aller Ortschaften sehen.
Von Wittenberg nach Torgau
Während die Landschaft etwas hügeliger wird, fahren wir an Orten mit slawisch klingenden Namen wie Proschwitz, Dommitzsch und Mockritz vorbei. In diesem Gebiet sind am 25. April 1945 die Amerikaner und die Russen während der Endoffensive aufeinander gestoßen, in der schönen Renaissancestadt Torgau erinnert eine Gedenksäule an dieses Ereignis.
Gegenüber der Säule steht noch ein anderes Denkmal:
Ein etwas verwittertes DDR-Relief mit fröhlichen Deutschen und russischen Soldaten und dem gerade noch lesbaren Text: "Ruhm dem Sowjetvolk – danke für seine Befreiungstat". In dem Buch "In Europa" von Geert Mak wird dieses Relief als "klassisches Dokument der Verlogenheit" bezeichnet.
Von Torgau nach Dresden
In Torgau besichtigen wir das prächtige Schloss Hartenfels mit einem schönen Innenhof, im 16. Jahrhundert residierte der sachsische Kurfürst hier. Der ausgetrocknete Burggraben wird schon seit Jahrhunderten von Braunbären bevölkert, aber die verstecken sich oder wurden inzwischen von Tierfreunden befreit. Etwa 20 Kilometer hinter Torgau soll man laut Routenführer beim Wassersportverein an der Elbe zelten können, es ist jedoch kein Campingplatz oder Zelt zu sehen. Glücklicherweise gibt es hier zahlreiche radlerfreundliche Zimmer mit Frühstück (B&B's), sodass wir leicht eine Unterkunft finden. In unserer Pension übernachten noch zwei Radfahrer aus dem Westen, die sich über die Frisuren und Kleidung der Ossies wundern und vielleicht sogar noch mehr über die Tagesetappen, die wir zurücklegen. Sie selbst fahren am Tag nur etwa 30 Kilometer.
Meissen
Wir nähern uns der Sächsischen Schweiz, was wir an den immer höher werdenden, manchmal mit Weingärten bewachsenen Hügeln und den Felswänden an der Elbe bemerken. Ab und zu sorgt eine Steigung für etwas Abwechslung. Die steilen Hänge am Fluss sind hier und da durch den Abbau des "Weißen Goldes", der Porzellans, für das die Stadt Meissen so berühmt ist, übel zugerichtet worden. In dieser Stadt haben wir von der Elbbrücke aus eine schöne Aussicht auf die hochgelegene Albrechtsbrücke, in der die erste europäische Porzellanmanufaktur untergebracht war. In dieser isoliert liegenden Burg konnte das Geheimnis der Porzellanherstellung gut gehütet werden.
Dresden
Von Meissen ist es nicht mehr weit nach Radebeul, wo Karl May seine fantasiereichen Geschichten über Winnetou und Old Shatterhand schrieb, und Dresden, der Hauptstadt Sachsens. Vom Elbufer aus sieht man die prachtvolle, wiederhergestellte Silhouette dieser leidgeprüften Stadt, die 1945 zum größten Teil von den alliierten Bombern zerstört wurde, mit der vor kurzem wiederaufgebauten Frauenkirche und der barocken katholischen Hofkirche. Wenn wir uns das Zentrum jedoch aus der Nähe ansehen, haben wir trotz der gemütlichen Straßencafes und schönen Geschäfte ein wenig den Eindruck, uns in einer Art Disneyland zu befinden. Was auf den ersten Blick jahrhundertealt aussieht, stellt sich bei aller Schönheit als neu und etwas seelenlos heraus, ohne eine einzige schiefe oder abgeblätterte Tür, was insbesondere an den Wohnhäusern in der Innenstadt auffällt. Die schon mehrere Jahrzehnte dauernde Restaurierung Dresdens ist übrigens noch lange nicht abgeschlossen. Das können wir selbst feststellen, als wir in der Gegend des riesigen Postplatzes mit seinen leerstehenden Plattenbauten aus der DDR-Zeit radeln.
Von Dresden nach Bad Schandau
Hinter Dresden wird die Landschaft immer malerischer. Am anderen Elbufer stehen große Villen auf den Hügeln und Lustschlösser am Ufer, wie das Schloss Pillnitz des Kurfürsten August des Starken. Bei Wehlen tauchen auf einmal einige beeindruckende Felsengebilde auf: Das Sandsteingebirge der Sächsischen Schweiz ist mit seinen bizarr geformten Türmen, Säulen und Spitzen das größte Felsenklettergebiet Europas. In den malerischen Dörfern wie Rathen und Königstein wimmelt es von Touristen, wie auch in Bad Schandau, einem Kurort, der seit jeher für seine eisenhaltigen Mineralbrunnen bekannt ist. Wir wollen eigentlich noch bis zur tschechischen Grenze fahren, um die Route durch dieses prächtige Gebiet an einem passenden Punkt abzuschließen, aber lassen uns doch zu Kaffee mit Torte in der Konditorei verlocken, sodass wir in aller Ruhe auf den Zug nach Magdeburg warten können.
Zurückgelegte Etappen
Strecke | Abstand* | Steigung |
---|---|---|
1. Gommern - Wittenberg | 100 km | -- |
2. Wittenberg - Belgern | 91 km | -- |
3. Belgern - Dresden | 105 km | 150 m |
4. Dresden - Bad Schandau | 30 km | 100 m |
Insgesamt | 326 km |
*Inklusive Umwege zum Einkaufen usw.