Pilgerweg nach Rom
Radfahren in Italien: Vom Comer See nach Rom
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, von der Schweizer Grenze nach Rom zu kommen. Diese klassische Route durch Italien, die schon von illustren Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe (mit der Postkutsche) und Martin Luther (auf dem damaligen Pilgerweg) zurückgelegt wurde, steht bei vielen Radfahrern oben auf der Wunschliste.
Wallfahrt
Für manche ist diese Route eine Wallfahrt zu einem religiösen Zentrum, für andere eine Suche nach sich selbst und für wieder andere nichts mehr als eine anspruchsvolle, abwechslungsreiche Tour durch Landschaften, die zu den schönsten Europas gehören. Unterwegs werden Sie bestimmt Radfahrern aus all diesen Gruppen begegnen, denn die Fahrradroute nach Rom ist überaus beliebt.
Von Lecco nach Cremona
An der Südseite des Comer Sees, dessen Ufern wir nach Passieren des Splügenpasses folgten, suchen wir den Beginn des Radwegs am Fluss Adda, der uns bis zur Poebene bringen soll. Unglaublich, wie schnell wir die hohen Alpengipfel hinter uns lassen und durch eine sanfte Hügellandschaft am Fluss entlang fahren. Der Weg ist nicht überall asphaltiert. Daher besteht bei und nach starkem Regen das Risiko, dass Sie mit dem Rad durch Modder glitschen müssen oder die Weiterfahrt gar nicht mehr möglich ist.
Dennoch lohnt es sich total, dieser Route zu folgen, auch wegen des historischen Schleusensystems, dessen Grundlagen von keinem anderen als Leonardo da Vinci ausgetüftelt wurden, und einigen historischen Wasserkraftwerken aus dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, wie das Kraftwerk Taccani bei Trezzo sull' Adda aus dem Jahre 1906. Ein Muss für Liebhaber industrieller Archäologie! Dieses Kraftwerk ist übrigens immer noch in Betrieb und am ersten Sonntag des Monats für Besucher geöffnet.
An manchen Stellen ist der Weg sehr schmal und manchmal teilt er sich. Einmal wählen wir den falschen Weg, einen viel zu steilen Waldweg. Mit einiger Mühe kehren wir zu Fuß zur Uferroute zurück. Ein 'Platter' – sonst kaum auftretend - sorgt für eine weitere Verspätung.
Inzwischen befinden wir uns in der Poebene und sehen schon von weitem die Wallfahrtskirche der Heiligen Jungfrau von Caravaggio. Hier ist im Jahre 1432 einer Bäuerin die heilige Jungfrau erschienen. Radsportler füllen ihr Fläschchen gerne am heiligen Brunnen. An diesem Ort mitten in der sonst leeren Ebene kann viel los sein, es ist das Ziel vieler Reisebusse mit italienischen Pilgern. Nach einer kurzen Pause und ein paar Schlucken Wasser aus dem heiligen Brunnen haben wir uns so weit erholt, dass wir das letzte Stück durch fruchtbares Marschland nach Cremona, der Stadt Stradivarius und Monteverdis, fahren. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kommen wir auf dem Campingplatz am Po an. Stechmückenschwärme scheuchen uns zum Campingrestaurant, wo der Wein reichlich fließt.
Von Cremona nach Modena
Es ist warm in der Poebene, eine schwüle Hitze, wie sie im deutschen Flachland selten herrscht. Kilometerlang begegnen wir kaum Verkehr auf den ruhigen Straßen. An den Deichen und zwischen den Mühlengruppen stehen teilweise verfallene Bauernhöfe in Erdfarben, ganz anders als die reetgedeckten Häuschen in Deutschlands Norden. Auch die Kirchen, die auf einmal in einer Kurve auftauchen, würden nicht in eine deutsche Marschlandschaft passen.
Auch wenn die Poebene von der Autobahn aus eher langweilig wirkt, zeigt sich, dass sie für Radfahrer einen ganz eigenen Reiz hat und die Ähnlichkeit mit einer norddeutschen Marschlandschaft erweist bei näherer Betrachtung als nur scheinbar. Das Radfahren ist hier nicht immer einfach: es kann sehr heiß werden, starke Winde können aufziehen und die Entfernungen zwischen Gaststätten, Geschäften und Unterkünften sind groß. Die Dörfer bestehen oft nur aus einer Handvoll Häusern und es ist kein Mensch zu sehen. Wegen der Mechanisierung der Landwirtschaft sind viele Menschen aus dieser Gegend weggezogen. Auf einem schnurgeraden Weg fahren wir einige Kilometer Richtung Modena, während der Himmel sich verdüstert und es immer drückender wird. Dann fallen die ersten Tropfen, die sich als Auftakt des in den nächsten Tagen immer schlechter werdenden Wetters erweisen. Als wir mit viel Mühe nach der sehr langen Etappe durch die Poebene endlich den Campingplatz von Modena direkt neben der Autobahn finden, ist es schon dunkel.
Von Modena nach Florenz
Nach einem Cappuccino in der Stadt von Ferrari und Pavarotti nehmen wir Kurs auf die Apenninen. Die Anfahrt ist angenehm: Eine alte Bahnlinie verwandelt sich in einen Radweg, auf dem geht es in gutem Tempo zu den ersten Hügeln. Über den Bergen wird es bedrohlich düster und schon bald regnet es in Strömen. Hinter Vignola beginnt der Weg stark zu steigen. Wir legen eine Rastpause mit herrlichen Kirschen ein, die hier überall am Straßenrand angeboten werden. Gegen Abend bricht die Sonne wieder durch und wir erreichen auf einem ruhigen Weg an Kastanienwäldern und Wiesen entlang den Campingplatz von Zocca, der auf dem höchsten Punkt der ganzen Gegend liegt. Für die Mühe des Anstiegs entschädigt uns der freundliche Eigentümer dieses Öko-Campingplatzes, der eigentlich nur für Stammgäste reserviert ist, mit einer herrlichen Mahlzeit. Sehr empfehlenswert! Am nächsten Morgen empfiehlt der Mann uns eine alternative Route, aber darauf gehen wir nicht ein, denn ein Blick auf die Karte zeigt uns, dass wir dann eine starke Steigung in Kauf nehmen müssen. Er behauptet noch, dass alle deutschen Radfahrer, die auf dem Campingplatz übernachten, ihm immer sehr dankbar für diesen Tipp wären, aber wir bezweifeln das... Wahrscheinlich handelt es sich um einen ökologisch vertretbaren Scherz des guten Mannes.
Wie dem auch sei, wir müssen im strömenden Regen den starken Aufstieg zum Passo Brasa auf 895 Meter Höhe bewältigen. Danach folgt bei einer Temperatur von 8 Grad eine wirklich grausame Abfahrt zum Kurort Porretta Terme. Starr vor Kälte und klitschnass bestellen wir in einer Imbissstube zwei Mal warme Schokoladenmilch und Mikrowellenravioli aus der Tiefkühltruhe.
Durch das Reno-Tal fahren wir zum nächsten Pass hinauf, der uns in die Toskana bringt. Die Abfahrt nach Pistoia ist ausgesprochen steil (bis 15%) und es gibt auch noch kilometerlange Baustellen, sodass die Bremsen in dem Sturzregen viel ausstehen müssen.
Auch wenn wir wie abgesoffene Straßenhunde aussehen, will Hotel Firenze in Pistoia uns glücklicherweise ein Zimmer vermieten. Der etwas mufflig wirkende Eigentümer taut auf, als sich herausstellt, dass wir ein paar Wörter Italienisch sprechen. Das historische Stadtzentrum van Pistoia ist eine angenehme Überraschung und nicht von Touristen überlaufen, sodass unsere Stimmung sich nach dem klimatologischen Dämpfer wieder hebt. Hinter Pistoia verirren wir uns mal wieder, weil überall Verkehrskreisel und neue Straßen angelegt wurden, sodass weder unsere Karte noch die Wegbeschreibung stimmt. Dafür macht die stark befahrene Straße zwischen Prato und Florence keine Probleme, denn es gibt genug Platz für unsere Räder.
In Florenz wählen wir eine vertraute Adresse: den in schöner Lage über der Stadt gelegenen Campingplatz Michelangelo, der sich nach dem Regen der letzten Tage in einen Schlammtümpel verwandelt hat. Mit einiger Mühe finden wir eine mehr oder weniger trockene Stelle. Wir schließen den Tag mit einem Spaziergang entlang der Arno ab, zwischen Horden von Touristen, die diese Stadt praktisch das ganze Jahr über im Griff haben. Trotzdem kann man hier noch gut essen: Wir entdecken eine gemütliche Trattoria in der Nähe des Doms mit fröhlicher Bedienung und gutem Essen zu einem fairen Preis.
Von Florenz nach Assisi
In Florenz müssen wir uns für eine Route nach Rom entscheiden, entweder über die Hügel der Toskana, mit Sehenswürdigkeiten wie Siena und dem Bolsena See, oder einer östlicheren Route über Assisi durch Umbrien. Da wir schon einmal mit dem Rad durch die Toskana, aber noch nie durch Umbrien gefahren sind, wählen wir die zweite Variante.
Erst schauen wir uns noch Chianti an und fügen wegen völliger Ermüdung einen Zwischenstopp auf dem riesigen Partycampingplatz Club Girasole in Figline Valdarno ein. Hier beobachten wir abends voller Erstaunen, wie zwölfjährige italienische Jungen auf einer Geburtstagsfeier immer fröhlicher und lautstärker eine Literflasche Wein nach der anderen wegkippen, ohne dass die Eltern sich darum kümmern. Am nächsten Tag radeln wir über einen wunderbar stillen, kurvenreichen Weg vorbei an Zypressen und Olivengärten hoch über dem Arno-Tal Richtung Gropina. Dieses Dorf ist über einen steilen Pfad zu Fuß zu erreichen und hat eine sehr sehenswerte romanische Kirche voll mit seltsamen Skulpturen und Symbolen. Die Aussicht über das Tal ist fantastisch.
Wir fahren bergab nach Arezzo, wo wir bei Quarata den Ponte Buriano überqueren, eine romanische Brücke, die von Leonardo da Vinci im Hintergrund der Mona Lisa verewigt worden sein soll. Wir picknicken im Park an der Brücke und stellen fest, dass die Landschaft nach vielen Jahrhunderten immer noch idyllisch und still anmutet.
Hinter Arezzo folgt ein Pass mit einer tückischen Steigung zum Ort Anghiari, dessen Hauptstraße irre steil in einer geraden Linie zum Tiber-Tal hinabführt. Ein irrsinniger Anblick, leider nicht so einfach zu fotografieren. Im Tiber-Tal finden wir bei Cittá di Castello einen Campingplatz, der fast unter einem Autobahnviadukt liegt. Hier scheinen ausschließlich holländische Radfahrer auf dem Weg nach Rom zu übernachten. Glücklicherweise hält der Lärm sich in Grenzen.
Wir befinden uns jetzt in Umbrien, das eindeutig einen weniger wohlhabenden und mitunter nicht ganz so gepflegten Eindruck macht als die Toskana. Aber dennoch gibt es auch hier einige schöne Dörfer und Landschafen, und — mit Ausnahme von Assisi — ohne die Touristenscharen, auf die man in der Toskana trifft. Unter einem bedrohlich düsteren Himmel fahren wir am Dorf Casa del Diavolo (Haus des Teufels) vorbei, und jawohl, als wir Assisi schon von weitem sehen, bricht ein donnerndes Gewitter los. Dank der Vorsehung der Heiligen Jungfrau finden wir gleich hinter einer ihr geweihten Kapelle einen leerstehenden Bauernhof, in dem wir uns vor dem Gewitter schützen.
Wie viele Sehenswürdigkeiten, Ortschaften und Einrichtungen in diesem Gebiet liegt auch der Campingplatz von Assisi an einer steilen Straße hoch über der Stadt. Das zum Campingplatz gehörende Restaurant ist ausgezeichnet und sehr preisgünstig und wird vor allem von Einheimischen besucht, was immer ein gutes Zeichen ist.
Zwei Campingplatzbesucher aus Rom, an deren Tisch wir wegen des Hochbetriebs gelandet sind, schwören uns, dass Umbrien die schönste Gegend Italiens ist. Sie schwärmen von malerischen Dörfern, viel Natur und der fantastischen Küche (Trüffel! Olivenöl!), und damit haben sie wirklich Recht.
Von Assisi nach Rom
Assisi hat sich erstaunlich gut vom schweren Erdbeben am 26. September 1997 erholt, das in diesem Gebiet riesigen Schaden verursacht hat. Die dreistöckige Basilika San Francesco mit den berühmten Freskos von Giotto über das Leben des Heiligen Franziskus von Assisi kann wieder in ihrer ganzen Pracht bewundert werden.In Assisi ist viel Betrieb, aber als wir auf schmalen Straßen und Gassen zur Burg hinaufgehen, lassen wir die Touristen schon bald hinter uns. Oben angekommen werden wir belohnt mit einer wunderschönen Aussicht über die Stadt, die Ebene und die Hügel dahinter, die wir am nächsten Tag bezwingen werden.
Über gut erhaltene mittelalterliche Städtchen wie Spello und Bevagna, die jede für sich einen Besuch wert sind, durchqueren wir das Flusstal und fahren in Schlangenlinien durch die Hügel zum Adlernest Narni. Danach fahren wir wieder ins Tiber-Tal hinunter. Die Landschaft wird offener und in den Gärten sehen wir die ersten Dattelpalmen. Nach einer letzten Übernachtung auf dem viel zu teuren Campingplatz I Pini in Fiano Romano fahren wir in einem Bogen Richtung Westen durch eine auffällig leere Agrarlandschaft, in der nichts darauf hinweist, dass wir uns einer Millionenstadt nähern, um bei der Prima Porta den wunderschönen Radweg am Tiber entlang zu nehmen.
Das ist gar nicht so einfach, denn auf Roms nördlicher Einfallstraße herrscht ein totales Verkehrschaos. Wir müssen unsere Räder über Leitplanken und Baustellen heben, um den Weg zu erreichen, aber es lohnt sich. Wir gleiten über den prima Asphalt, wobei wir keinen anderen Radfahrern, dafür aber vielen Joggern begegnen und erreichen ein Schild mit km 0.000. Hier endet der Radweg dann auch mit einem Durchgang zwischen Hecken, der so schmal ist, dass die Räder nicht mit Gepäck hindurchpassen. Wir folgen dem Boulevard am Tiber entlang und sehen plötzlich die mächtige Kuppel des Petersdoms auftauchen.
Nach einer letzten Abzweigung überqueren wir zusammen mit Hunderten von Touristen, Römern und Geistlichen die Straße zum Petersdom, direkt unter den beeindruckenden Kolonnaden von Bernini. Wir sind hier natürlich nicht die einzigen und auch nicht die einzigen Radfahrer, denn eine Gruppe von 20 holländischen Radfahrern hat mitten auf dem Petersplatz eine Flasche Champagner geöffnet. Sie haben wohl etwas zu feiern, genau wie wir. Nach 2437 km ab Start unserer Reise haben wir unser Endziel erreicht.
Zugabe
Vom Petersdom aus fahren wir quer durch die Stadt über holpriges Kopfsteinpflaster am Forum Romanum, dem Kolosseum und den Thermen von Caracalla entlang (gut machbar) und später über die endlose und stark befahrene Via Cristoforo Colombo. Diese hat glücklicherweise größtenteils einen Fahrweg für langsamen Verkehr parallel zur Hauptstraße. So kommen wir zum Campingplatz Village Fabulous bei Ostia. Wir glauben, von hier aus den Flughafen von Ciampino leicht erreichen zu können. Da haben wir uns allerdings getäuscht, denn auch mit einer guten Karte schaffen wir es erst zwei Tage später mit viel Mühe, zwischen den vierspurigen Straßen mit rasendem Verkehr unseren Weg zu finden. Nach allerlei Irrfahrten erreichen wir dann doch noch die Via Appia Antica, wo wir im wunderschönen Abendlicht in einer arkadischen Landschaft mit Pinien und römischen Ruinen zwischen zwitschernden Vögeln zum Hotel Palacavicchi in Ciampino beim Flughafen fahren (siehe Film). Dass wir anschließend über eine Stunde nach dem bereits reservierten Hotel suchen müssen, weil keiner im Dorf uns sagen kann, wo es liegt, nehmen wir einfach in Kauf. Wir können in diesem sowohl von der Lage als auch vom Bau her sehr bemerkenswerten Hotel (siehe die Kritiken) auf jeden Fall direkt mit unserem Rad ins Zimmer hineinfahren...
Zurückgelegte Etappen
Etappe | Abstand* | Steigung |
---|---|---|
1. Lecco — Cremona | 128 km | — |
2. Cremona — Modena | 135 km | — |
3. Modena — Zocca | 67 km | 902 m |
4. Zocca — Pistoia | 84 km | 946 m |
5. Pistoia — Firenze | 47 km | — |
6. Firenze — Figline | 35 km | — |
7. Figline — Cittá di Castello | 95 km | 954 m |
8. Cittá di Castello — Assisi | 76 km | 741 m |
9. Assisi — Narni | 106 km | 1177 m |
10. Narni — Fiano Romano | 63 km | 878 m |
11. Fiano Romano — Ostia | 80 km | 709 m |
12. Ostia — Ciampino | 30 km | — |
totaal | 946 km |
*Umwege zum Einkaufen usw. einbegriffen